Begrüßung und Rede Generalleutnant Alfons Mais

Festung Ehrenbreitstein


Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ehemalige Angehörige des Deutschen Heeres,
Kameradinnen und Kameraden,

Ich freue mich, heute wieder hier im Kuppelsaal zu stehen und Sie nach der Zeremonie nochmals begrüßen zu dürfen.
Leider kann die Ehrenrednerin, Frau PStS Möller, aufgrund Ihrer bereits lang im Voraus vereinbarten Termine nicht mehr bei uns sein, wir sind aber sehr froh, dass sie so kurzfristig die Lücke geschlossen hat, die durch die Absage der Bundesministerin der Verteidigung entstanden ist. Auch das gehört zur Zeitenwende, dass aktuelle Ereignisse lang im Voraus gemachte Pläne über den Haufen geworfen werden. Der Ministerin tut es sehr leid, dass Sie daher heute hier nicht sein konnte.

Dear international guests and fellow colleagues, I warmly welcome you – our international partners and friends today to Koblenz and the ceremony. We are honored and grateful for your participation!

Meine Damen und Herren,

Das kameradschaftliche Totengedenken hier am Ehrenmal ist ein Höhepunkt im Jahresplan des Heeres. Dieser Termin steht im Zentrum unserer soldatischen Traditionen, die wir mit dem Motto „Das Heer vergisst nicht!“ in die Zukunft führen wollen.



Das kameradschaftliche Totengedenken ist zusätzlich ein wichtiger Baustein für unser wertebasiertes Soldat sein und die Prägung unseres Führungsnachwuchses in Geist, Können und Haltung. Das ist wichtig und richtig.

Schlagartig wird in diesen Tagen jeder jungen Frau, jedem jungen Mann in Uniform klar, dass wir in einem Europa leben, in das völkerrechtsbrechende Aggressoren einfallen, der Beschuss von Zivilbevölkerung an der Tagesordnung ist und der Gegner auch vor Kriegsverbrechen nicht zurückschreckt. Der Krieg ist zurück in Europa! Die Konsequenzen militärischer Auseinandersetzung sind auch für uns wieder wahrscheinlicher geworden.
Gedanken die uns alle in Uniform, aber auch viele Menschen außerhalb der Streitkräfte, gerade in diesen Tagen zwischen Allerheiligen und Totensonntag bewegen und in tiefer Sorge zurücklassen.

Das Deutsche Heer hat mit dem Ehrenmahl des Heeres der Tradition der öffentlichen kameradschaftlichen Ehrung unserer Gefallenen hier auf der Festung Ehrenbreitstein ein Gravitationszentrum gegeben. Im Mittelpunkt des Ehrenmals steht, oder besser liegt, die so eindrucksvolle Skulptur des Künstlers Hans Wimmer.
Vor ein paar Tagen, genau gesagt am 28. Oktober 2022, haben Prof. Dr. Andreas Schmauder, Direktor des Kulturzentrums Festung Ehrenbreitstein und Landesmuseum Koblenz, Herr Dipl.-Ing. Joachim Rind, Vorstandsvorsitzender Schaufenster Baukultur Koblenz und Kammerpräsident der Architektenkammer Rheinland-Pfalz, sowie der Präsident des Kuratoriums „Ehrenmal des Heeres“, Generalleutnant a. D. Reinhard Kammerer die Ausstellung "Orte der Stille – Hans Wimmers Erinnerungsmale" eröffnet.
Sie zeigt sehr gut den Weg auf, den die deutsche Gesellschaft in der Entwicklung ihrer Erinnerungskultur gegangen ist. Die Ausstellung ist noch bis 8. Januar 2023 hier auf der Festung Ehrenbreitstein zu sehen – ich lege sie Ihnen allen ans Herz.
Das 50-jährige Jubiläum des Ehrenmals haben wir am gestrigen Tag mit einem fachkompetenten und internationalen Symposium zur Gedenkkultur im Heer in – wie ich finde – hervorragendem Rahmen würdigen können. Ich wiederhole an dieser Stelle sehr gerne den Dank an alle, die dies möglich gemacht und inhaltlich beigetragen haben. Wir haben uns weitere wertvolle Impulse für die Gedenkkultur im Heer erarbeitet – das ist wichtig und gut!

50 Jahre Ehrenmal sind auch Anlass einmal zurück zu schauen. Ich möchte Sie kurz mit in das Jahr 1972 zurücknehmen. Wir haben etwas recherchiert und Zeitzeugen befragt. Einer der wenigen Zeitzeugen ist mit General Carstens, damals Adjutant vom Bundesminister Leber, ja heute auch unter uns.
Hier an dieser Stelle standen 1972, bei der Einweihung des Denkmals, durchaus langhaarige Soldaten mit Stahlhelm und Haarnetz als Posten. Erzählungen nach so langhaarig, dass auf das Archivieren dieser Fotos der Rekruten-Ehrenposten – lassen Sie es mich so sagen – aktiv verzichtet wurde.
Auch das Finalisieren der damaligen Rede des Bundesminister Leber brauchte einige Geburtshelfer. Er nahm das Thema sehr ernst und legte daher, so wird berichtet, zunächst selbst Hand an. Aber nach der Lektüre des ersten Entwurfes durch das Umfeld des Ministers entstand der dringende Eindruck, dass unmittelbare und zweifelsfrei kompetente Hilfe – wohlgemerkt „auf Augenhöhe“ – gesucht und gefunden werden sollte.
Gefunden wurde sie in Carlo Schmid, dem damaligen Bundestags-Vizepräsidenten, einem der Väter des Grundgesetzes, renommiertem Staatsrechtler, SPD-Vizevorsitzender und Träger des Ordens wider den tierischen Ernst!
(Hintergrund: Nach einem längeren persönlichen Telefonat Schmid – Leber konnte der Minister überzeugt werden, dass die Rede einer grundlegenden Überarbeitung bedürfe)
So hatte die Rede an diesem Ort am vor 50 Jahren doch mehrere Väter.

Die Botschaft, die bei dieser Rede BM Leber aber am wichtigsten war, war die folgende:
„Nie wieder darf die freiheitlich demokratische Ordnung ihren Feinden zum Opfer fallen. Das gelingt am besten, wenn die organisierte Arbeitnehmerschaft und die Streitkräfte sie gemeinsam verteidigen“

Das war seine feste Überzeugung und prägte sein Handeln an vielen Fronten.



Soviel zu Geschichten und Geschichte. Oft führe ich das Zitat „…Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.“, das fälschlicherweise Mark Twain zugeordnet wird, im Munde. Wie wahr.
Gemeinsam mit unseren Partnern verteidigen wir die Werte, für die wir alle stehen. Diese Werte sind mir wichtig, und wir setzen alles daran, dass sie auch im Heer gelebt werden.
Wir haben begonnen, die Fragen „Wofür dienen wir?“ und „Wie gehen wir miteinander um?“ stärker in den Vordergrund zu stellen und die Menschen im Heer dahingehend weiterhin zu sensibilisieren.
Denn die Menschen des Heeres bilden das Zentrum unserer Kraftentfaltung. Sie machen das Heer aus. Sie sind der Garant für eine erfolgreiche Auftragserfüllung, auch wenn es einmal „richtig dick“ kommt!
Gegenüber diesen Menschen tragen wir alle – nicht nur die militärischen Vorgesetzten, nicht nur die politischen Entscheidungsträger, sondern die gesamte Bevölkerung in Deutschland auch eine besondere Verantwortung.
Der Schutz gegen politische Erpressung und äußere Gefahr ist nicht nur eine Frage der 0,3% der deutschen Bevölkerung, die ihn täglich in der Bundeswehr erarbeiten, sondern auch der anderen 99,7%, die auf diesem Schutz ihr tägliches Leben aufbauen. Für diese Arbeit braucht es wache Augen, die Bedrohungen wahrnehmen, Wehrwillen und Resilienz auch in der Gesamtgesellschaft.

All das soeben umrissene, insbesondere die Bedeutung der Frage nachdem „Wofür“ wird uns seit Februar täglich durch die Ereignisse in der Ukraine und den anhaltenden tapferen Einsatz der Frauen und Männer zur Verteidigung ihrer Heimat vor Augen geführt.
Daher ist es auch unsere moralische Verpflichtung und ein Gebot der sicherheitspolitischen Klugheit die ukrainische Gesellschaft und das ukrainische Militär weiterhin so zu ertüchtigen, dass es sich auch erfolgreich gegen den russischen Angriff zur Wehr setzen kann.
Neben den Material- und Munitionsabgaben aus den Beständen der Bundeswehr, die uns natürlich schmerzen, rücken die Ausbildungsanstrengungen zunehmend in den Vordergrund. Wir tun dies im unmittelbaren Zusammenhang zu unseren Materialabgaben und bauen die Ausbildung weiter aus.
Zur Koordination der gemeinsamen Anstrengungen der europäischen Partner hat die EU im Bereich der Ausbildungsunterstützung eine militärische Unterstützungs-mission (EU Military Assistance Mission Ukraine) beschlossen.
Neben einem polnischen Hauptquartier, wurde das Kommando Heer mit der Aufstellung eines das sogenannten Special Training Command beauftragt. Unter Führung von Generalleutnant Andreas Marlow soll dieses zunächst multinational aufwachsen und dann u.a. die Ausbildung ukrainischer Bataillone und Brigaden im Gefechtssimulationszentrum des Heeres und anderen Ausbildungsstützpunkten koordinieren. In der Umsetzung unterstützt die 1. Panzerdivision aus Oldenburg.
Wir werden diesen wichtigen Auftrag so lange wie nötig umsetzen auch wenn er zusätzliche Kräfte bindet.

Denn nach dem NATO-Gipfel von Madrid im Sommer diesen Jahres sind die Planungen der NATO und die daraus abgeleiteten militärischen Verpflichtungen klar.
Die notwendigen operationellen Erfordernisse zur Ausrichtung des Heeres auf Einsätze in der Landes- und Bündnisverteidigung, und die Vorgaben von NATO und EU sowie die Dauereinsatzaufgaben bestimmen maßgeblich die Aufträge des Heeres. Die neue Lage entwickelt sich hin zur permanenten Bereitstellung kaltstartfähiger, kohäsiver Großverbände bei gleichzeitiger Verdreifachung der bisherigen Kräftebindung des Heeres.
Die zukünftige belastbare Auftragserfüllung des Heeres als Kern deutscher Landstreitkräfte und das Erreichen seiner Kriegs¬tüchtigkeit erfordern weitere Maßnahmen in den drei wesentlichen Handlungsfeldern Personal – Strukturen und Material. Mehr, schneller und besser geht nur anders!

Wir müssen jetzt die richtigen Weichen für das Heer gestellt bekommen, um zukünftig der vom Bündnis erwarteten und der uns selbst gegebenen Ambition entsprechen zu können. Im Heer selbst werden wird das Maximum mobilisieren, um unseren Auftrag zum Schutz unseres Landes sicherzustellen.
Ich schaue mit einer Mischung aus Stolz, Zuversicht und Sorge auf die kommenden Monate und Jahre. Ich bin stolz auf die täglichen Leistungen der Frauen und Männer des Heeres im Dienst in Deutschland und den Einsätzen. Ich bin zuversichtlich, dass es uns mit den Menschen im Heer und den verschiedenen Maßnahmen gelingen wird, den Herausforderungen gemeinsam zu begegnen.
Meine Sorgen mit Blick auf die kommende Zeit basieren auf der Unsicherheit, ob die gewachsenen politischen Ambitionen und die neuen Aufträge an das Heer hinreichend mt den notwendigen personellen und materiellen Ressourcen hinterlegt werden können. Das Sondervermögen für die Bundeswehr ist eine Anschubinvestition für die wir sehr dankbar sind. Die Zukunfts- und Einsatzfähigkeit der Bundeswehr wird jedoch an einem kontinuierlichen Anstieg des Verteidigungshaushalts Richtung 2% hängen. Das schulden wir den Soldatinnen und Soldaten, die geschworen haben, ihr Leben für das recht und die Freiheit des deutschen Volkes zu geben.

Doch nun genug der Reden. Die Seele dieser Veranstaltung sind die menschlichen Begegnungen und vielen Gespräche. Diesen will ich nun den notwendigen Raum geben.
Ich danke für Ihre Anwesenheit und die damit zum Ausdruck gebrachte Sympathie mit dem Heer und freue mich auf ein Wiedersehen im nächsten Jahr.



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Erstellt von: system letzte Änderung: Dienstag, 22. November 2022 [08:09:33] von btheus

Das Originaldokument ist zu finden unter http://www.ehrenmal-heer.de/tiki-index.php?page=Nachrichten25