Ansprache Generalleutnant a.D. Rüdiger Drews
Präsident des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres
am 19.11.2009 in Koblenz
(Auszug)
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wir sind nicht mehr allein. Seit Anfang September dieses Jahres gibt es das Ehrenmal in Berlin. Es würdigt die Soldaten der Bundeswehr, die seit 1955 im Dienst ums Leben kamen, mehr als 3100 bisher.
Ihrer im Dienst für Frieden, Recht und Freiheit gestorbenen, verunglückten oder gefallenen Kameraden des Heeres der Bundeswehr gedenken auch wir, die aktiven und ehemaligen Soldaten des Heeres, schon seit vier Jahren. Wir tun es vergleichsweise bescheiden mit einer kleinen Stele, die dem seit 1972 bestehenden Ehrenmal für die toten Heeressoldaten der vergangenen Kriege in der Festung Ehrenbreitstein beigestellt ist.
Wo ist der Unterschied?
In Berlin ist es der Staat, der Dank abstattet und würdigt. Er erfüllt damit seine „patriotische Pflicht“, wie Verteidigungsminister Jung es ausdrückte, nämlich eine Stätte des Danks und der Erinnerung für die in Ausübung ihrer Dienstpflichten Gestorbenen und für die im Einsatz für den Frieden Gefallenen zu schaffen. Das Ehrenmal der Bundeswehr stehe für die Werte, auf die unser Land und die Bundeswehr gegründet sind, sagte der Bundespräsident. Das Berliner Ehrenmal wendet sich somit wesentlich an die Öffentlichkeit; es erinnert die Nation an die Gefahren, die wenige für alle auf sich nehmen.
Auf dem Ehrenbreitstein dagegen haben sich die Heeressoldaten ihr Ehrenmal selbst gegeben. Über die Generationen hinweg – so die Idee – bekennen sie sich als Schicksalsgemeinschaft, in Pflicht und Treue dem Staat und den Kameraden verbunden. Die Jungen ehren und betrauern die Alten – die Alten geben den Jungen Orientierung: menschlich, soldatisch, moralisch. Wir wollen die Brücke zwischen den Generationen. Das ist der Unterschied, auch wenn die deutsche Geschichte uns viel kritische Energie dabei abverlangt. Doch wie wäre es um unsere Glaubwürdigkeit als Soldaten in der Demokratie bestellt, wenn wir uns pauschal von unseren Vätern abwendeten und einen Teil der Wahrheit ausblendeten?
Ohne rationale Distanz wäre kein ethische Fundament möglich, aber ohne menschliche Nähe könnten wir aus den Tragödien der Vergangenheit nicht den Maßstab für moralisches Handeln gewinnen. Die Kraft dazu kommt doch nicht aus dem Verstand, sondern aus dem emotionalen Vermögen. Beides ist notwendig – zur Bildung eines Standortes und zur Bewährung in der Krise.
Unsere Väter und Großväter waren, wie wir, Kinder ihrer Zeit, einer Zeit, deren Ungeist sie mit sich fortriss, sie bedrückte, sie überforderte, sie über sich hinauswachsen ließ. Es ist unser Anliegen, ihre Tragik und Konflikte unvergessen zu machen, ihr Versagen und ihr Bestehen zu begreifen. Wir wollen tradieren, was sie in die Lage versetzte, Grenz- und Extremsituationen zu bestehen: Idealismus, Kameradschaft, Treue, Standhaftigkeit; Selbstüberwindung, Bildung, Pflichterfüllung und Loyalität zu diesem besten deutschen Staat aller Zeiten und seinen Bürgern. Wer solche überzeitlichen soldatischen Werte pflegt und entsprechende Verhaltensweisen einübt, der wird persönlich bestehen und mit der Last von Entscheidungen umgehen können.
Wer soll das vermitteln, wenn nicht die Toten? Und, ist es nicht eine großartige Würdigung ihres Leids, ihrer Not und ihrer Verdienste, wenn wir aus ihrem Vermächtnis eine pädagogische Verpflichtung machen?
Wo stehen wir bei diesem Bemühen mit dem Kuratorium des Ehrenmals des Deutschen Heeres, und wo wollen wir hin?
Sie wissen: Seit einiger Zeit denken wir nach, wie der jährlichen Gedenktag vor der Verflachung der inneren Bindung und vor der Erstarrung im Ritual bewahrt werden kann. Was die Kriegsgeneration aus eigenem Erleben mit der Totenehrung verband, ist 64 Jahre nach Ende des Krieges verloren. Die Mitgliederstruktur des Kuratoriums spiegelt diese Veränderung. Inzwischen rücken Jahrgänge nach, die selbst den Einsatz kennen. Für Sie ist der Soldatentod keine nur theoretische Größe mehr.
Das ist keineswegs in der zivilen Gesellschaft so. Das klein gewordene Heer, durch mehrere Heeresstrukturen hinter die Sieben Berge verbannt, gerät aus den Augen der Öffentlichkeit. Diese nimmt den Soldaten nur noch als Dienstleistenden einer Agentur für Sicherheit wahr. Verteidigung als Bürgerpflicht, die Streitkräfte und vor allem das Heer, das den gefährlichen Teil der Einsätze schultert, als Ort des Dienstes für Staat und Gesellschaft – das sind beinahe verlorene Leitmotive.
Die Allgemeine Wehrpflicht ist nur noch ein Schatten ihrer selbst, die Vorstellung vom Soldatenleben verblasst. Wer verbindet mit dem Dienst im Heer noch die Chance des Erwachsenwerdens, der persönlichen Bewährung? Das sind diejenigen, die in die Einsätze gehen. Sie erfahren ihren Dienst als prägende Lebensphase und tragen das auch nach außen. Doch es sind zu wenige, um der Entfremdung der Gesellschaft vom Soldaten entgegenzuwirken.
Das alles hat auch etwas zu tun mit der allgemeinen Veränderung der Beziehung des Bürgers zu Staat und Gesellschaft. Das Interesse des Einzelnen ist ins Zentrum politischen Handelns gerückt. Auf den Agenden stehen die Entfaltung der individuellen Persönlichkeit und die Ansprüche des Einzelnen an den Staat, weniger seine Verpflichtung zum Gemeinwohl. Die Erosion des Gemeinsinns bewirkt auch jene Schwächung der Empathie, die die Angehörigen der Gefallenen in Berlin beklagten: jene Gleichgültigkeit, auf die ihr Leid allenthalben stieß.
Der Mangel an historischer Bildung tut ein Übriges.
Solche Bedingungen lassen das Ideal des verantwortungsbewussten und zu persönlichen Opfern bereiten Staatsbürgers in Uniform nicht erstrahlen. Wir müssen also etwas tun. Der bekannte Gedanke des Staatsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde gilt auch für die Armee unseres freiheitlichen Staates: Sie lebt von Voraussetzungen, die der Staat ihr nicht garantieren kann. Was wir aber beisteuern können, ist die aktive Pflege guten Soldatentums, mit der ein wenn auch begrenztes, so doch verständigeres Sympathieumfeld geschaffen werden kann. Andere westliche Streitkräfte praktizieren so etwas seit langem mit gutem Erfolg. Mit Interesse haben wir uns auch ein näher liegendes Modell, das des Deutschen Marinebundes, angesehen – denn ihm gelingt es, Ehrenmal und Verständniswerbung zu verbinden. Warum sollte Ähnliches uns nicht möglich sein?
Das Kuratorium des Ehrenmals des Heeres und der Führungsstab des Heeres haben ein Modell erarbeitet, das eine Erweiterung der Zweckbestimmung des derzeitigen Kuratoriums in diesem Sinne vorsieht. Der Inspekteur des Heeres hat dem im Prinzip zugestimmt, will aber vor der Realisierung die Zustimmung der Truppenführer und Generale der Truppengattungen gewinnen.
Worum geht es? Zunächst wollen wir die soldatischen Werte durch die förmliche Ehrung der Toten symbolisch und als implizite Aufforderung weitergeben, unverändert, wie heute. Neu wird ein Engagement sein, das sich an eine interessierte und zu interessierende Jugend wendet. Das Ehrenmal als Ort des Gedenkens soll auch Ort der Begegnung werden – sowohl ein geistiger Ort, dessen Gegenstand die Auseinandersetzung mit der Bestimmung und dem Selbstverständnis des Soldaten ist, als auch ein Ort des Erlebens, um die digitale und individualistische „Generation Y“, wie man sagt, auch affektiv zu erreichen.
Wenn wir so die Vorstellung vom Heeressoldaten als Staatsbürger in Uniform vermitteln und diese gegen staatsbürgerliche Trägheit und individualistischen Rückzug ins Private behaupten, so ist das auch staatsbürgerliche Bildung.
„Kuratorium des Heeres“ soll der neue Verein heißen. Unter einem „Präsidium“ mit Aufsichtsratsfunktion werden zwei Plattformen bilden, die wir „Ehrenmal des Deutschen Heeres“ und „Forum des Deutschen Heeres“ nennen. Die Mitgliederbasis wird erheblich verbreitert durch die Aufnahme verwandter Organisationen, durch die Möglichkeit zur Einzelmitgliedschaft aktiver Soldaten und Reservisten, hoffentlich auch vieler Hinterbliebener, durch die Einbeziehung der Generale der Truppengattungen, denen ja eine besondere Verantwortung in der Traditionspflege zugewiesen ist, und durch die Führer der Truppe. Für das Präsidium und die Vorstände der beiden Plattformen wird der Schirmherr des Kuratoriums, der Inspekteur des Heeres, Beisitzer bestimmen.
Um es anders zu wenden: Die Philosophie für das neue Kuratorium liegt in der Verbindung des Erbes mit der Zukunftsaufgabe: das Erbe ist würdigende und verpflichtende Erinnerung – die Zukunftsaufgabe besteht darin, das Heer intellektuell und emotional ins Bewusstsein einer jungen Öffentlichkeit zu bringen.
Zielgruppen sind Schüler und Auszubildende. Sie sollen individuell angesprochen und eingeladen werden. Auch Jugendgruppen, von Sportvereinen bis zur Gewerkschaftsjugend, können angesprochen werden.
Zur Realisierung gibt es zahlreiche Ideen und Vorschläge: von Kurzseminaren bis zur Exkursionen, von Tagungen bis zum Aufsatzwettbewerb, vom Abenteuer der Natur bis zum Outward-bound-Erlebnis, von der Teilnahme an Lehrübungen bis zur Vermittlung von Gesprächen mit Soldaten aus den Einsätzen. Die wesentlichen Leistungen werden vom Kuratorium zu erbringen sein, weil Stäbe und Truppe von der chronischen Auftragsfülle erdrückt werden – jenseits alles Zumutbaren.
Wir, das Kuratorium, müssen und wollen sehr behutsam vorgehen. Wir handeln zwar nicht als Heer, aber was wir tun, ist in seinem Sinne und im Sinn der Schicksals- und Traditionsgemeinschaft der Heeressoldaten. Ohne Zustimmung der Truppe wird also nichts passieren, sofern ihre Unterstützung erforderlich ist. Das war die Bedingung des Inspekteurs. Er will das neue Kuratorium als Investition in die Zukunft, er will aber auch weitere Lasten ausschließen.
Wie löst nun das Kuratorium die neue Aufgabe? Wir mobilisieren die Kapazitäten der zahlreichen pensionierten Soldaten und Reservisten, deren Wissen, deren Erfahrung, deren Idealismus. Wir sind zuversichtlich, viele als ehrenamtliche Projektleiter und Referenten gewinnen zu können. Rechtliche und finanzielle Fragen sind noch zu klären.
Sie werden ahnen, dass es ganz ohne Beteiligung der Truppe nicht geht. Richtig, wir sind angewiesen darauf, dass Sie mit Ihren lokalen Kenntnissen die Türen zu den Zielgruppen öffnen. Außerdem brauchen wir logistische Unterstützung, besonders durch Bereitstellung von Unterkunft und Lehrsälen. Das ist nicht viel und verteilt sich zudem auf zahlreiche Schultern. Die planerische Arbeit und vor allem die Umsetzung wird niemanden belasten, es sei denn, er möchte sich gerne einbringen.
Wir haben Zeit. Niemand erwartet schnelle Resultate. Wir starten irgendwann in 2010 oder 2011 mit wenigen Modellversuchen, die wir sorgfältig auswerten.
Der Inspekteur sucht bis zur Generalstagung im Dezember die Zustimmung der Kommandeure und will ggf. ihre Vorstellungen berücksichtigen. Wenn dieser Schritt gelungen ist, kann der tatsächliche Umbau vom „Kuratorium des Ehrenmals des Heeres“ zum „Kuratorium des Heeres“ beginnen. Zunächst wären die notwendigen Weisungsvoraussetzungen zu schaffen, aus unserer Sicht nämlich die Festlegung der Grundsätze in der Zusammenarbeit zwischen Heer und Kuratorium, die Regelung der administrativen Bedingungen und die Entscheidung über die Berufung aktiver Soldaten in die drei Gremien des Kuratoriums sowie in den geplanten Beirat. Einige rechtliche und organisatorische Fragen um Mitgliedschaften, Finanzen und Versicherung sind noch in Arbeitsgruppen zu klären.
Das alles wird seinen Niederschlag in der zukünftigen Satzung des Kuratoriums haben, die von der Mitgliederversammlung zu verabschieden und vom zuständigen Gericht zu genehmigen ist. Dann wird es noch einige Zeit dauern, bis der neue, gemeinnützige "Eingetragene Verein" realisiert ist.
Bis Mitte des kommenden Jahres sollte diese Neuordnung wohl zu leisten sein.
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Erstellt von: msalchow
letzte Änderung: Freitag, 04. Dezember 2009 [19:30:53] von msalchow
Das Originaldokument ist zu finden unter http://www.ehrenmal-heer.de/tiki-index.php?page=Nachrichten03