Ministerpräsident a.D. Prof. Dr. Bernhardt Vogel
Koblenz, 23.November 2017
Gedenkansprache
bei der
Zentralen Gedenkfeier des Deutschen Heeres am Ehrenmal des Deutschen Heeres nach dem Volkstrauertag
Inspekteur des Heeres Generalleutnant Jörg Vollmer,
Präsident des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres Generalleutnant a.D. Hans-Otto Budde,
Damen und Herren!
Lassen Sie mich mit einem Dank beginnen. Ich danke der Bundeswehr, dass sie in jedem Jahr, am Donnerstag nach dem Volkstrauertag, hier, am Ehrenmal des Deutsches Heeres, zum Gedenken an die Opfer von Krieg, Verfolgung und Gewaltherrschaft, an die gefallenen Deutschen Soldaten beider Weltkriege und zum Gedenken an die in der Erfüllung ihres Dienstes für Frieden, Recht und Freiheit zu Tode gekommenen Soldaten der Bundeswehr einlädt.
Und ich danke dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge dafür, dass er seit fast 100 Jahren über zwei Millionen Kriegsgräber auf über 800 Friedhöfen in rund 100 Ländern der Erde pflegt.
Bis heute sind nicht alle Kriegstoten identifiziert. Der Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge sorgt mit dafür, dass sie nicht anonym bleiben: Er schreibt Namen auf leere Grabsteine! Die Fürsorge für die Gräber verleiht den Getöteten menschliche Würde, sie gibt der Trauer der Angehörigen einen Ort für ihr Gedenken und sie vermittelt uns eine Vorstellung der Dimension des millionenfachen Sterbens. Die Toten dürfen nicht vergessen sein, ihre Ehepartner, Eltern, Kinder, Enkel und Freunde sollen wissen, dass wir mit ihnen trauern.
Und lassen Sie mich die Bitte anschließen, nicht zu vergessen, dass die Botschaft der Toten an uns nur lauten kann: Sichert den Frieden!
Den Frieden zu sichern, ist Aufgabe der Politik, ist insbesondere Aufgabe der Bundeswehr und ist Verpflichtung für jeden von uns.
Auch heute, in dieser Stunde, in der wir uns hier versammelt haben, sind Menschen auf dieser Welt in Kriege verwickelt, herrschen nach wie vor Gewalt und Terror. Die Kriege, die heute geführt werden, müssen zu einem Ende kommen. Und Gedenktage wie der Volkstrauertag müssen Anlass sein Gedenken, Trauer und Erinnerung in unser aller Nachdenklichkeit und Handeln umzusetzen.
Sie haben als Redner einen Angehörigen jener Generation eingeladen, die zwar nicht mehr selbst in den Krieg ziehen musste, die ihn aber noch in den Luftschutzkellern erlebt hat. Die erlebt hat, was Zerstörung, Hunger und Not bedeutet. Und die das Glück hat, nach 1945, seit über siebzig Jahren, in Frieden und Freiheit, in einer stabilen demokratischen Ordnung leben zu dürfen. Kriegsgegner sind zu Freunden geworden. Zum ersten Mal in unserer langen Geschichte ist von keinem Soldaten der Bundeswehr an den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland mehr ein Schuss gefallen. Und seit 28 Jahren gibt es auch an der ehemaligen unmenschlichen innerdeutschen Grenze keinen Schießbefehl mehr.
Wir sollten glücklich und dankbar dafür sein, dass die nachwachsende Generation den Krieg nicht mehr aus eigenem Erleben kennt, sondern nur den Frieden, und dass ihnen die Welt offen steht. Sie tragen keine Schuld am Ersten Weltkrieg, der Ur-Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts, und an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Aber sie sollten wissen, warum es dazu kam. Und sie sind verantwortlich dafür, dass sich so etwas niemals wiederholt.
Zukunft braucht Vergangenheit. Und wer wissen will, wo er sich befindet und wohin er gehen soll, der muss wissen, woher er kommt.
Wenn wir uns heute kritisch mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen, dann muss das mit äußerster Sorgfalt und auch mit Differenziertheit – dann muss das verantwortlich erfolgen. Das sind wir den unzähligen deutschen Soldaten schuldig, die ihr Leben verloren und die sich persönlich keines Verbrechens schuldig gemacht haben.
Friede entsteht nicht durch Wehrlosigkeit. Wenn wir den Frieden sichern wollen, müssen wir ihn verteidigen können. Der Friede ist auch heute bedroht. Unsere Welt ist nicht friedlicher geworden. Seit 1945 haben weltweit über 250 Kriege und bewaffnete Konflikte stattgefunden.
Ich erinnere nur an den grausamen Krieg in den jugoslawischen Nachfolgestaaten, an den Koreakrieg, an den Völkermord in Ruanda und im Kongo oder heute an den Bürgerkrieg in Syrien, an die kriegerischen Auseinandersetzungen im Osten der Ukraine, an die akute, atomare Bedrohung, die von dem Regime in Nordkorea ausgeht.
Über 65 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Vor zehn Jahren waren es 37,5 Millionen Menschen. Eine neue Völkerwanderung hat begonnen. Die häufigsten Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen, sind wirtschaftliche Not, Hunger und Perspektivlosigkeit, Krieg und Verfolgung.
Die Bundeswehr gehört zu unserer freiheitlichen Gesellschaft und zu unserem demokratischen Staat. Wir brauchen die Bundeswehr zur eigenen Verteidigung. Wir brauchen sie als Teil des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses. Wir brauchen sie als Parlamentsarmee, um auf Beschluss der Vereinten Nationen Friedensdienst leisten zu können. Nicht überall in der Welt, das würde uns überfordern und wir würden uns überschätzen, aber doch im Rahmen des uns Möglichen. Dazu muss die Bundeswehr gut ausgerüstet und modern aufgestellt sein. Sie muss vom Sinn und Zweck ihrer Aufgaben geprägt sein. Sie muss von uns Bürgern bejaht und von uns unterstützt und ausreichend finanziert werden.
Die Toten der Weltkriege mahnen uns, dass es für Deutschland keine Sonderwege, sondern nur den europäischen und transatlantischen Weg geben darf. Die Deutsche Einheit steht nicht nur für das Ende des Kalten Krieges, sondern auch dafür, dass das wiedervereinigte Deutschland mehr Verantwortung zu tragen hat.
Wenn heute deutsche Soldaten ihr Leben einsetzen, dann stets im Rahmen der europäischen und der der internationalen Gemeinschaft für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit und gegen Krieg und Terror.
Es ist gut, dass unsere Bundeswehr von Jahr zu Jahr mehr nicht nur unsere Sicherheit im Blick hat, sondern auch gegen Krieg, gegen Fanatismus und gegen Irrationalität anderswo in der Welt Friedensdienst leistet – zusammen mit unseren Freunden, mit unseren Partner und Verbündeten.
Dass es in der Bundeswehr auch Ärger gibt und unverzeihliches Fehlverhalten, das abgestellt werden muss, wird niemand leugnen. Aber das darf kein Grund zu vorschneller Vorverurteilung sein. Im Gegenteil, es ist Grund zur Nachdenklichkeit und dafür manches besser zu machen.
Es ist gut, dass über die Vergangenheit neu nachgedacht wird. Sie darf nicht verherrlicht, sie darf aber auch nicht totgeschwiegen werden. Nazisymbole in deutschen Kasernen darf es nicht geben. Aber ein Bild von Helmut Schmidt in Wehrmachtsuniform abzuhängen ist Unsinn.
Wir haben Grund, stolz auf unsere Bundeswehr und ihre inzwischen über sechzigjährige Tradition zu sein. Wir haben Grund, Millionen von Deutschen dankbar für ihren Dienst in der Bundeswehr zu sein. Denen, die ihre Wehrpflicht abgeleistet haben, und den jungen Frauen und Männern, die heute in unserer Berufsarmee unserem Vaterland dienen. Und allein seit 1992 sind mehr als 100 Angehörige der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen zur Friedenssicherung oder Krisenbewältigung ums Leben gekommen sind. Auch ihnen sollten wir ein ehrendes Andenken bewahren.
Aber wir sollten auch ehrend derer gedenken, die in der Wehrmacht ihre Pflicht getan haben. Die übergroße Mehrheit der deutschen Soldaten hat auch im Zweiten Weltkrieg tapfer und pflichtbewusst und in gutem Glauben gekämpft, auch wenn sie von einem unmenschlichen Regime in einem sinnlosen Krieg missbraucht worden sind. An sie zu erinnern, heißt nicht, die furchtbaren Verbrechen, die auch im Namen der deutschen Wehrmacht, etwa in Polen oder in der Ukraine, begangen worden sind, zu relativieren. Heißt aber derer zu gedenken, die tapfer, mutig und opferbereit waren, die ihren Kameraden beistanden. Die in Eis und Schnee – etwa in Stalingrad - fürchterliche Not und grausames Elend erlitten haben, die ihr eigenes Leben hingegeben haben.
Und auch daran sollten wir erinnern: Der Widerstand gegen Hitler kam nicht zuletzt aus der Wehrmacht. Die Männer des 20. Juli waren Soldaten. Besonders vor ihnen sollten wir uns verneigen. Nicht, dass der Tyrannenmord misslungen ist, dass er gewagt worden ist, ist entscheidend.
Wir leben in einem gefestigten demokratischen Gemeinwesen. Aber wir erleben heute auch, dass Demokratien über Nacht in Gefahr geraten können, dass sie zu Diktaturen werden können. Man denke nur an die Türkei oder an Venezuela.
Eine Demokratie zu bejahen, wenn sie mit Wohlstand verbunden ist und mit Frieden, fällt nicht schwer. Sie aber gegen radikale, populistische Agitatoren, die heute wieder nationalistischen und extremistischen Gedanken anhängen und dafür Propaganda betreiben – mögen sie von rechts oder von links kommen – zu verteidigen, das allerdings ist schwieriger, aber umso notwendiger. Eine Demokratie braucht mündige Bürger.
Niemand wird als Demokrat geboren. Man muss Demokratie lernen, wie man lesen, schreiben und rechnen lernen muss. Wer heute konsequent unsere freiheitliche Demokratie verteidigt, wird morgen nicht in die Lage kommen, Widerstand zu ihrer Verteidigung leisten zu müssen.
Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, hat einmal gesagt: „Die in den Gräbern ruhen
... wollen gar nicht, dass wir mit lauten Worten sie »Helden« nennen. Sie haben für uns gekämpft, gezagt, gelitten, sie sind für uns gestorben. Sie waren Menschen wie wir. Aber wenn wir in der Stille an den Kreuzen stehen, vernehmen wir ihre gefasst gewordenen Stimmen: Sorgt ihr, die ihr noch im Leben steht, dass Frieden bleibt. Frieden zwischen den Menschen, Frieden zwischen den Völkern.“
Wir verneigen uns vor den Toten, und wir nehmen ihre Botschaft auf: Es muss Frieden werden, wo Unfriede herrscht. Und es möge uns gelingen, in unserem Vaterland den Frieden zu schützen und zu bewahren.