Dr. Franz Josef Jung, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im deutschen Bundestag
17.November 2016
Rede
des stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im deutschen Bundestag
anlässlich
der zentralen Gedenkfeier des Heeres nach dem Volkstrauertag
in Koblenz
Sehr geehrter Herr Inspekteur des Heeres Generalleutnant Vollmer,
sehr geehrter Herr Generalleutnant a.D. Budde als Präsident des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V.,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister der Stadt,
verehrte Herren, meine Herren Generäle,
liebe Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sowie unserer Verbündeten,
meine Damen und Herren,
der große Philosoph Immanuel Kant hat einmal gesagt: „Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot, der ist nur fern; tot ist nur, wer vergessen wird.“
Heute ist ein Tag gegen das Vergessen. Die Feierstunde des Deutschen Heeres, die traditionell am Donnerstag nach dem Volkstrauertag stattfindet, ist ein Moment des Innehaltens und des Mitgefühls. Wir trauern um die Opfer der beiden Weltkriege, um die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, um die Opfer unserer Soldaten der Bundeswehr und der Opfer von Krieg, Terror und Gewalt in unseren Tagen. Wir gedenken der Männer, Frauen und Kinder, die in den Weltkriegen starben, die in der Gefangenschaft oder bei der Vertreibung aus ihrer Heimat ums Leben kamen. Wir gedenken der tapferen Männer und Frauen im Widerstand, die gegen Unrecht und Diktatur aufstanden und für menschliche Würde und freies Gewissen ihr Leben gaben. Sie haben uns gezeigt, dass es in Deutschlands dunkelster Stunde Menschen gab, deren Lebensleistung hell erleuchtet. Sie haben uns gezeigt, dass eine staatliche Ordnung ohne die Achtung der Menschenwürde, von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit keinen Raum der Freiheit darstellen! Wir gedenken aber auch der Menschen, die in unseren Tagen Opfer grenzenloser Gewalt geworden sind. Es sind Opfer von Krieg und Terror, von Stammesfehden, bewaffneten Konflikten, von Kriegen, Hungersnöten, Flucht und Vertreibung. Mein tiefes Mitgefühl gilt heute den Angehörigen der Frauen und Männer, die ihr Leben in der Erfüllung ihrer Dienstpflicht für Frieden und Freiheit verloren haben. Auch und gerade im Dienste unserer Bundeswehr. Wir verneigen uns vor den Toten.
Meine Damen und Herren,
Leid und Trauer dürfen uns aber nicht sprachlos machen. Vom Kirchenlehrer Augustinus stammt der Satz, dass „...unsere Toten nicht abwesend, sondern nur unsichtbar sind und uns mit ihren Augen voller Licht in unsere Augen voller Trauer schauen!“ Sie mahnen uns Lebende, dass wir unserer Verantwortung und unserer Verpflichtung für eine friedlichere Zukunft gerecht werden. Trauer darf nicht zur Resignation führen. Wir müssen Lehren ziehen aus der Geschichte, weiter an einem friedlichen Europa mit einem demokratischen, verlässlichen Deutschland in seiner Mitte und einer besseren und sicheren Welt zu bauen. Diese Verpflichtung ist aktueller denn je. Auf den Trümmern haben wir etwas völlig Neues errichtet. Alte Feindschaften wurden überwunden, ein politischer Neuanfang wurde gewagt. Aus Gegnern von einst sind Verbündete und Freunde geworden. Aber Populisten in ganz Europa fordern den Rückfall in nationalsozialistisches Denken. Diese Einstellung hat, wie die Geschichte zeigt, immer rein ins Elend geführt und deshalb müssen wir dieser Entwicklung mit Nachdruck entgegentreten!
Das können wir uns nirgendwo besser bewusst machen als hier in Koblenz auf der Festung Ehrenbreitstein. Denn die Festung war ein preußisches Bollwerk gegen Frankreich und damit zugleich ein Symbol für die innere Zerrissenheit Europas.
Heute können wir dagegen auf eine dauerhafte Friedensordnung in Europa blicken. Sie gründet auf der Herrschaft des Rechts und auf Frieden und Freiheit.
Für uns erwächst daraus Dankbarkeit. Aus dieser Dankbarkeit entsteht jedoch die Verpflichtung, sich stets bewusst zu werden, wie wichtig es ist, sich immer wieder für ein friedliches und gerechtes Zusammenleben der Menschen in Europa einzusetzen!
Meine Damen und Herren,
Die Staatsgründung der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt die Lehren der Geschichte. Die Geburtsfehler der Weimarer Republik sollten vermieden werden. Weimar war auch daran gescheitert, dass es zu wenig Demokraten gab. Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes haben in der Präambel festgeschrieben: Deutschland soll „dem Frieden der Welt dienen“. Diese Verantwortung ist eine immerwährende Aufgabe. Denn in unserer unvollkommenen Welt wird Frieden stets durch Krieg und Gewalt bedroht sein. Frieden fällt uns nicht in den Schoß. Das müssen wir gerade jetzt feststellen, wo Kriege – wie in Syrien oder der Ukraine - wieder an die unmittelbaren Grenzen Europas herangewachsen sind. Wir müssen uns für den Frieden einsetzen, jeden Tag aufs Neue. Auf dem Weg zum Frieden begegnen uns immer wieder neue Formen von Krieg und Gewalt. Heute sind es die heimtückischen Anschläge des internationalen Terrorismus und insbesondere des islamistischen Terrorismus mit seiner erschreckenden Brutalität. Menschenwürdiges Leben ist nur in Frieden und in Freiheit möglich. Wir können und dürfen deshalb die Augen nicht vor dieser Gewalt verschließen, wir müssen ihr entschieden entgegentreten. Den Frieden zu wahren und zu fördern, das verlangt konkretes, verantwortliches Handeln. Deutschland stellt sich diesen Herausforderungen. Unser Land hat seit dem Ende des Kalten Krieges Schritt für Schritt mehr Verantwortung für den Frieden in der Welt übernommen. Die Bundeswehr ist Instrument dieser Politik – und dieses Engagement dient auch unserer Sicherheit. Wo und wie wir uns mit der Bundeswehr engagieren, dafür sind die Werte unseres Grundgesetzes, die Interessen unseres Landes und die eingegangenen internationalen Verpflichtungen maßgeblich. Soldatinnen und Soldaten dienen dem Frieden. Sie sind Verteidiger von Freiheit, Recht und Frieden. Dabei kann es auch darum gehen, Menschen und Völkern aus Not und Gefahr zu helfen oder Friedensstörer in die Schranken zu weisen, selbst wenn sie weit entfernt von Deutschland aktiv sind. Dieser Einsatz für Frieden und Freiheit hat seinen Preis. Immer wieder mussten wir schmerzhaft erfahren, dass unsere Friedenseinsätze auch mit Tod und Verwundung verbunden sind. Soldatinnen und Soldaten im Einsatz tragen besondere Risiken. Wenn Bundesregierung und Bundestag unsere Soldaten in die Einsätze schicken, sollen wir uns dessen stets gegenwärtig sein. Die Soldatinnen und Soldaten tragen diese Risiken ohne Aufhebens. Für ihre verantwortungsvolle Aufgabe brauchen sie daher einen starken politischen und gesellschaftlichen Rückhalt. Darauf gründet ganz wesentlich die Einsatzmotivation und die Überzeugung, das Richtige zu tun. Sie leisten in ihren Einsätzen Hervorragendes. Dafür verdienen sie Anerkennung und Würdigung und unseren besonderen Dank. Genau aus dem Gedanken der Wertschätzung und Anerkennung entsprang meine Initiative für ein Ehrenmal der Bundeswehr, das in meiner Amtszeit auf dem Gelände des Bendlerblocks errichtet worden ist. Es ist öffentlich zugänglich und eröffnet jedem die Möglichkeit, der Toten der Bundeswehr auf angemessene Weise zu gedenken. Das Gedenken an unsere gefallenen Soldaten, das wir in der heutigen Feierstunde bekräftigen, hat am Ehrenmal im Bendlerblock einen besonderen Ort. Aber auch hier am Ehrenmal des deutschen Heeres gedenken wird unseren gefallenen Soldaten.
Seit Gründung der Bundeswehr sind nahezu 3.200 Angehörige unserer Bundeswehr ums Leben gekommen, bzw. gefallen.
Meine Damen und Herren,
Der Volkstrauertag ist auch ein Tag der Versöhnung. Schon 1922, als der Volkstrauertag eingeführt wurde, standen Gedenken und Versöhnung im Mittelpunkt.
Den Gedanken der Versöhnung setzte Reichstagspräsident Paul Löbe in der ersten offiziellen Feierstunde zum Volkstrauertag im Reichstag in seiner viel beachteten Rede um, als er einem feindseligen Umfeld Versöhnung und Verständigung entgegensetzte: - ich zitiere:
„Leiden zu lindern, Wunden zu heilen, aber auch Tote zu ehren, Verlorene zu beklagen bedeutet die Abkehr vom Hass, bedeutet die Hinkehr zu Liebe, und unsere Welt hat die Liebe not.“ Dies spiegelt sich auch im Motto des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge wider: „Versöhnung über den Gräbern – Arbeit für den Frieden“. Die Pflege von zwei Millionen Kriegsgräbern auf 827 Friedhöfen dieser Welt ist gelebte Versöhnung und Verständigung der Völker über alle Grenzen hinweg. Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean Claude Juncker hat einmal mit Blick auf Europa gesagt: „Wer zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen.“ Wir dürfen die Lehren aus der Geschichte nicht vergessen.
Meine Damen und Herren,
Marion Gräfin Dönhoff hat in einem ihrer ersten ZEIT-Artikel über Totengedenken 1946 geschrieben:
- ich zitiere: „Wir Spätgeborenen, die wir in den Trümmern einer zusammenstürzenden Kulturepoche aufgewachsen sind, in der sich die alten Ordnungen auflösen und alle überlieferten Werte in Frage gestellt wurden, wir stehen mit leeren Händen in einer entzauberten Welt. Opferbereitschaft, Heldentum, Ehre, Treue, das alles ist fragwürdig geworden, leer und schal, weil ein materialistisches Zeitalter diese Begriffe aus dem metaphysischen Zusammenhang herausgelöst hat.“
Meine Damen und Herren,
Bislang haben sich fast 300.000 Soldaten der Bundeswehr in den Krisengebieten der Welt engagiert. Gegenwärtig befinden sich rund 4.000 Soldatinnen und Soldaten auf drei Kontinenten der Erde im Einsatz. Diese Einsätze sind Ausdruck dafür, dass die Bundesregierung zusammen mit unseren Freunden, Partnern und Verbündeten in ihren Bemühungen für den Frieden in der Welt nicht nachlassen wird. Auf diesem Weg müssen wir auch die Menschen in den Einsatzgebieten mit einbeziehen. Unsere Hilfe ist dort immer auch Hilfe zur Selbsthilfe. Wir können nur den Rahmen schaffen, der es den Menschen vor Ort ermöglichen soll, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, insbesondere ihre eigene Sicherheit. Deshalb ist auch der Dialog zwischen den Kulturen so wichtig. Dialog schafft Vertrauen, und dieses Vertrauen brauchen wir, weil wir auf dem Weg zum Frieden eng mit der einheimischen Bevölkerung zusammen wirken wollen. Diese Einstellung bestimmt das Denken und Handeln unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Daran gemessen, ist die Entwicklung Europas seitdem ein Wunder. Diejenigen, die unmittelbar nach dem Krieg das friedliche Europa aufgebaut haben, sind zu großen Teilen heute nicht mehr unter uns. Ihr Vermächtnis an die Gegenwart bleibt: “ihre Leistung für den Frieden und Versöhnung.“ Und auch wir werden eines Tages den Stab an die nächste Generation weitergeben. Werden wir deshalb unserer Verantwortung gerecht! Als Nation sind und bleiben wir die Gemeinschaft derjenigen, die vor uns waren und derjenigen, die nach uns kommen werden. Das Erbe verpflichtet uns zum Frieden und zur Versöhnung. Wir sind es unseren Toten schuldig.
Vielen Dank!