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Rede General a. D. Eberhard Zorn


Sehr geehrter Herr Generalleutnant Mais,

Sehr geehrter Herr Generalleutnant Kammerer,

Kameradinnen und Kameraden,

Sehr geehrte Damen und Herren,

In diesem Jahr fällt unser ehrendes Gedenken zusammen mit den 80. Jahrestagen der Landung der Alliierten in der Normandie (6. Juni 1944) und des gescheiterten Attentats des militärischen Widerstands um Oberst Graf Schenk von Stauffenberg (20. Juli 1944). Ebenso erinnern wir in diesem Jahr an den 110. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges. Der Volkstrauertag wird seit mehr als 100 Jahren begangen und der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge verbindet ihn in diesem Jahr mit einem Wandel der Gedenkkultur unter dem Motto „Die Erinnerung an die nächste Generation weitergeben“.




An diesen Jahrestagen gedenken wir der Millionen Toten beider Weltkriege und wir treten aktiv dafür ein, dass die Ermordung von sechs Millionen Juden niemals vergessen wird. Wir in Deutschland haben unsere Lehren aus diesen Kriegen gezogen, Versöhnung national wie international gefördert, verstehen die Sicherheit Israels als Teil unserer Staatsräson und folgen dem Ruf: Nie wieder!

Und doch erleben wir wachsenden Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus, auch bei Teilen der jungen Bevölkerung. Wir sind zurecht hoch sensibel, aber auch wiederum überrascht ob dieser Entwicklung, denn wir glaubten, auch diese Auswüchse seien überwunden. Mit wachsender Sorge rufen wir heute „Nie wieder ist jetzt“.

Wir glaubten seit der friedlichen Wiedervereinigung unseres Landes, dass es zwischenstaatliche Kriege in Europa nicht mehr geben wird. Umso mehr waren wir geschockt vom völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine, verbunden mit dem klaren Ziel Putins, die Ukraine als Staat auszulöschen, die USA von Europa zu trennen und vor allem Deutschland insgesamt zu schwächen.

Nun sind wir im dritten Kriegsjahr in der UKR, der Imperialismus ist zurück. Wir sehen das zweite Kriegsjahr im Nahen Osten, der internationale Terrorismus ist nicht bekämpft, ein Ende beider Kriege ist nicht absehbar.

Und so findet unser Gedenken in einer Zeit statt, in der Städte und Landschaften dem Erdboden gleichgemacht werden, Menschen auf der Flucht sind, die Zahlen der Toten und Verwundeten mit jedem Tag steigen. Die Kriege unserer Tage werden überlagert von Kampagnen der Desinformation und Falschinformationen. Die Trägerin des diesjährigen Friedenspreises des deutschen Buchhandels, Anne Applebaum, weist in ihrem aktuellen Buch die umfassenden und systematischen Bemühungen Russlands und Chinas nach, die öffentliche Meinung zu manipulieren und stellt fest: „Die antidemokratische Rhetorik hat sich globalisiert.“ Diese Kampagnen gerade in den sozialen Medien bereiten uns Sorge. Sie heizen Konflikte an und beeinflussen vor allem jüngere Generationen, die ihre Informationen aus diesen Netzwerken schöpfen.

Deutschland unterstützt mit seinen internationalen Partnern die Verteidigung der UKR, das Deutsche Heer bildet im multinationalen Rahmen UKR-Soldaten aus, die wir persönlich erleben: Wir bewundern deren Verteidigungs- und Kampfeswillen, hören ihre Berichte aus dem Krieg, aus den Stellungen, ja wir sehen ihnen den Krieg an. Meine eigenen Gespräche mit den UKR-Artilleristen im Jahre 2022 sind mir noch sehr präsent.

Ich sehe vor mir aktuelle Bilder aus den Stellungen im Donbass – sie erinnern mich an die Bilder vom Stellungskampf im 1. WK in Verdun. Verschiedene Kriege, modernere Waffen, mehr Informationstechnik, aber auf den letzten 100 m des Heeressoldaten hartes, archaisches Gefecht. Wir erinnern uns und wir gedenken heute auch der UKR-Kameraden, die unsere Werte verteidigen. Sie sind inzwischen keine anonymen Krieger mehr für uns, wir haben viele persönlich kennengelernt, hoffen und bangen mit ihnen, ihren Familien und Angehörigen.

Krieg ist wieder – oder sollte ich besser sagen: ist immer noch - ein Mittel der Politik.

Man könnte sich angesichts dieser aktuellen Lage fatalistisch zurücklehnen und sich fragen: Haben wir aus den Weltkriegen, aus den Terroranschlägen und Kriegen der letzten 30 Jahre nichts gelernt? War unser Gedenken an die Opfer vergangener Kriege nicht Mahnung genug?

Die Frage ist also heute erlaubt, wie wir mehr als 80 Jahre später Erinnerung und vor allem Mahnung an die junge Generation weitergeben. Bedarf es auch einer Zeitenwende in unserer Erinnerungs- und Gedenkkultur?

Schule, Studium und Bundeswehr haben meiner Generation die Folgen des NS- Terrors, die Fakten zur Judenvernichtung, zu den Weltkriegen und den Widerstandsbewegungen gegen das NS-Unrechtsregime und die geschichtlichen Zusammenhänge intensiv und kontinuierlich vermittelt.

Ich betrachte es heute als eine neuerliche, große Herausforderung, die Erinnerung an die Vergangenheit in der Breite der Gesellschaft wachzuhalten und in der Bundeswehr die historische, ethische und politische Bildung weiter zu stärken. Das Deutsche Heer geht hier bereits den richtigen Weg und hat die Weichen z.B. mit dem Tag der Werte, der InFü-Challenge und einer breit angesetzten Erinnerungskultur zukunftsweisend gestellt.

Für die jüngeren Generationen bedeuten 80 Jahre und mehr eine große zeitliche Distanz zu den historischen Ereignissen. Noch schwieriger ist es für Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen, diesen historischen Kontext und die deutsche Geschichte zu verstehen und sich unserer Erinnerungskultur zu nähern. Gerade bei ihnen muss in der Bundeswehr und in der Gesellschaft unsere Informations- und Weiterbildungsarbeit ansetzen, die ich im Kontext mit unserer Erinnerungskultur und unserem Ehrenmal sehe.

Das zentrale Ehrenmal des Deutschen Heeres hier in Koblenz gehört in die Reihe der Ehrenmäler der Teilstreitkräfte und der Bundeswehr. Alle Ehrenmäler stehen gegen das Vergessen der vergangenen leidvollen Kriege, gegen das Vergessen der Soldaten nicht nur des Heeres, sondern aller Kameraden, die ihr Leben ließen, sie stehen für die Erinnerung an die Einsätze, sie stehen an ehemaligen und aktuellen Standorten des Heeres und der Bundeswehr.

Deutschland und die Bundeswehr haben es sich bei der Schaffung einer würdigen Gedenkkultur nie leicht gemacht, wir haben jede Weiterentwicklung politisch wie militärisch tiefgehend und auch kontrovers diskutiert. Erlauben Sie mir einige persönliche Erinnerungen mit Ihnen zu teilen.

Hier in Koblenz erinnere ich mich an die jährlichen Gedenkveranstaltungen des HFüKdo, meine erste war 1997. Ich erlebte die Diskussionen um die Errichtung der Stele und deren Aufstellung persönlich mit.

Das Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin wurde auf Initiative von Verteidigungsminister Franz-Josef Jung vor 15 Jahren eingeweiht, ich durfte danach mitwirken an seiner vor genau 10 Jahren vorgenommenen Ergänzung durch das Buch des Gedenkens und der Realisierung eines Raumes der Information im Jahre 2018.
Ich durfte 2020 dabei sein, als Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble im Deutschen Bundestag vor dem Eingang zum Sitzungssaal des Verteidigungsausschusses die Stele mit dem elektronischen Gedenkbuch für die im Auslandseinsatz gefallenen Soldaten und verstorbenen Angehörigen der Bundeswehr eingeweiht hat.
Der Wald der Erinnerung beim Einsatzführungskommando in Potsdam wurde ebenfalls vor 10 Jahren eingeweiht. Die letzten Maßnahmen, die ich unterstützen durfte, waren die Rückführung und der Wiederaufbau der Kapelle St. Benedikt aus MES beim Wald der Erinnerung.

Diese persönlichen Erinnerungen mögen aufzeigen, dass unsere Erinnerungs- und Gedenkkultur sehr lebendig ist, sie nicht an den einen Ort gebunden, sondern immer eingebettet ist in die Erinnerung vieler Standorte und Regionen.

Ich kann heute sagen: Unserer Bundeswehr und unserem Deutschen Heer ist es gelungen, eine spezifische, die deutsche Geschichte und unsere kollektiven Erfahrungen verbindende Gedenkkultur zu etablieren. Sie ist vielfältig, anerkannt bei unseren internationalen Partnern, in der Bundeswehr, und ganz wichtig: bei den Angehörigen unserer Toten.


Ich weiß, dass das Deutsche Heer unsere Einsätze nicht vergessen wird, auch wenn Strukturreformen unsere Streitkräfte verändern: in Potsdam wird es bald kein Einsatzführungskommando mehr geben, genau so wenig wie hier in Koblenz noch das Heeresführungskommando an die von hier geführten Einsätze erinnert, oder der Stab des III. Korps, der im Kalten Krieg von hier aus die Truppen führte.

Erinnerungskultur des Heeres ist und bleibt lebendig, sie lebt von der Vielfalt der Erinnerung, an verschiedenen Orten, in den Garnisonen unserer Truppenteile und mit Gedenkveranstaltungen zu den individuellen Todestagen unserer verstorbenen Kameraden. So ist es möglich, ganzjährig, nicht nur im November, überall erinnert und gemahnt zu werden, an die Schrecken des Krieges, an die Opfer, und an das Nie Wieder!

Die spezifische militärische Gedenkkultur in der breiten Gesellschaft zu etablieren, wird uns allerdings noch weitere Anstrengungen abverlangen. Dabei müssen wir uns klar zu den europäischen Werten bekennen, und letztendlich die gesamte Bevölkerung für die Bedeutung und die Vorteile einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft sensibilisieren und sie dadurch gegen die Verlockungen scheinbar einfacher Lösungen der extremen Kräfte immunisieren. Den Kampf gegen freiheits- und menschenverachtende Mächte und Diktaturen werden wir, so fürchte ich, lange und an vielen Fronten führen müssen.

Lassen Sie uns wie heute hier in Koblenz die Erinnerungs- und Gedenkorte noch stärker nutzen, um die junge Generation und Mitbürger unterschiedlicher kultureller Prägung einzubinden. D.h. WIR sind jetzt diejenigen, die aufgrund unserer Erfahrung berichten müssen. Denn WIR können erzählen von den Rahmenbedingungen des Kalten Krieges und von den Auslandseinsätzen, WIR können erzählen vom Leben in einem geteilten Deutschland. WIR müssen Information und Diskussion zwischen den Generationen fördern. Und am Ende müssen WIR auch mahnen, nicht nur im November, sondern ganzjährig. Und WIR müssen eintreten gegen Hasse und Hetze, gegen Falschinformation, für Menschenrechte, für Toleranz, für Frieden, Recht und Freiheit.

Wir gedenken gemeinsam der Toten und Gefallenen der beiden Weltkriege, die Stele erinnert uns an die gestorbenen und gefallenen Kameraden der Einsätze und des Friedensdienstes. Die Erinnerung an die Toten ist uns eine Verpflichtung und Mahnung für kommende Generationen.


Bericht in der Rhein-Zeitung vom 14.11.2024

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Erstellt von: system letzte Änderung: Sonntag, 17. November 2024 [16:57:59] von btheus