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Präsidentin des bayrischen Landtags a. D. Barbara Stamm

Koblenz, 21. November 2019

Gedenkansprache

bei der

Zentralen Gedenkfeier des Deutschen Heeres am Ehrenmal des Deutschen Heeres nach dem Volkstrauertag


Sehr geehrter Herr General Vollmer,
sehr geehrter Herr General Kammerer,
sehr geehrte Soldatinnen und Soldaten,
verehrte Gäste,

im kommenden Frühjahr jährt sich zum 75. Mal der „Tag der Befreiung“, wie Richard von Weizsäcker den 8. Mai 1945 einst in seiner denkwürdigen Rede im Bundestag nannte.
Ein Menschenalter liegt es zurück, dass Deutschland befreit wurde von der NS-Diktatur, von Terror und Gewalt. Befreit von einem Krieg, den es selbst begonnen und den Ländern in ganz Europa und auch weit darüber hinaus aufgezwungen hatte. Befreit von einem Krieg, der weltweit über 55 Millionen Menschen das Leben kostete.

Das würdige Gedenken an die Gefallenen der Weltkriege, das traditionell nach dem Volkstrauertag stattfindet, war für die Bundesrepublik von Beginn an eine schwierige Herausforderung. Man gedachte der Gefallenen und wollte ihr Andenken ehren. Gleichzeitig war es aber offenkundig, dass die Wehrmacht im Namen Deutschlands große Schuld auf sich geladen hatte.

Heute, mit dem zeitlichen Abstand eines Menschenalters können wir dieses Dilemma klarer erkennen und ohne eigene persönliche Betroffenheit beim Namen nennen.

Wir können das individuelle Schicksal Einzelner in den Blick nehmen und die Trauer um die gefallenen Söhne und Väter nachvollziehen, ohne dabei kollektive Schuld zu negieren. Wir können erkennen, dass aus dieser Schuld für die späteren Generationen – für uns alle – eine kollektive Verantwortung erwächst.
Und wir können vor allem auch die notwendigen Lehren aus der Vergangenheit ziehen:

Denn heute wissen wir, dass im Zusammenhang mit einem Totengedenken jede falsche Heldenverehrung fehl am Platz ist. Totengedenken meint nie, das Leid anderer durch das eigene Leid zu relativieren.

Sondern Totengedenken meint immer, jedem einzelnen Opfer Würde und Anerkennung zuteilwerden zu lassen – als Menschen mit individueller Geschichte und Würde.

Und Totengedenken bedeutet immer auch ein universelles Gedenken an die Opfer von Krieg, Verfolgung und Gewaltherrschaft. Wir machen bei Gedenkfeiern stets aufs Neue deutlich, dass Krieg immer Opfer hervorbringt:
Traumatisierte, verletzte Menschen, an deren Seelen die Ereignisse des Krieges tiefe Spuren hinterlassen. Dies war damals so und dies ist auch heute so:
Bei jedem Krieg!
Deswegen ist für uns eine Gedenkfeier wie die heutige immer auch Mahnung und Verpflichtung zur Arbeit am Frieden!

Von dem großen Philosophen Immanuel Kant stammt der Satz:

"Der Friede muss gestiftet werden, er kommt nicht von selber."

Ergänzend könnte man sagen: „Der Friede muss erhalten werden, er bleibt nicht von selber.“


Deswegen ist es unsere vordringliche Aufgabe, alles dafür zu tun, den Frieden, nicht nur in Europa, sondern überall auf der Welt, wo immer es möglich ist, zu erhalten oder herzustellen.

Gleichzeitig wissen wir alle, und das gilt für Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten in ganz besonderer Weise, dass man militärischen Auseinandersetzungen leider nicht immer aus dem Weg gehen kann.

Auch die aktuelle Diskussion um die NATO zeigt: Gerade um den Frieden zu sichern, müssen wir, müssen Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten, im Verteidigungsfall wehrhaft sein.

Diese Verpflichtung nehmen Sie in vorbildlicher Weise an: Sie verstehen sich als „Bürgerinnen und Bürger in Uniformen“, deren Aufgabe es ist, die rechtsstaatliche, zivile Demokratie zu schützen. Sie begreifen sich als Parlamentsarmee, als deren Angehörige sie mündige, mitdenkende und verantwortungsvolle Soldatinnen und Soldaten sind.
Sie sind Recht und Gesetz und in letzter Konsequenz ihrem Gewissen verpflichtet.

Sie leisten Ihren Beitrag dazu, dass unser Land erfüllt, was die Präambel unseres Grundgesetzes fordert: „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen.“

Frieden und Demokratie – dafür treten Sie ein. Und dafür wollen wir Ihnen heute von ganzem Herzen danken.

Uns ist bewusst, dass Sie es in vielerlei Hinsicht oft nicht leicht haben. Sie haben einen Beruf gewählt, in dem Sie Verantwortung für das Gemeinwesen, Verantwortung für Ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger übernehmen. Sie erklären sich dazu bereit, für andere einzutreten. Für dieses Land, diese Gesellschaft, für uns alle.

Es schmerzt daher in besonderer Weise, wenn die Bundeswehr leider allzu oft Zielscheibe von unverhältnismäßiger, pauschaler Kritik oder Opfer überheblichen Spotts wird.
Das Gegenteil haben Sie verdient!

Ich will daher heute auch die Gelegenheit nutzen, solchen oft gedankenlos hervorgebrachten Urteilen entgegenzutreten.
Ich will Ihnen stellvertretend für alle Angehörigen der Bundeswehr meinen tief empfundenen Dank aussprechen. Und auch den vielen Familienangehörigen, die diesen Beruf mittragen, will ich meine Anerkennung und Wertschätzung aussprechen. Ich weiß, dass es oft nicht leicht ist, den Vater, die Mutter oder das eigene Kind in weiter Ferne in einer riskanten Friedensmission zu wissen.

In meinen Dank will ich vor allem auch die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr einschließen, die bei Einsätzen für den Frieden und in Ausübung ihrer Dienstpflicht in den vergangenen Jahren ihr Leben verloren haben.
Wir bewahren ihnen ein ehrendes Andenken und fühlen mit ihren Familien, mit ihren Kameradinnen und Kameraden und mit ihren Freunden.


„Frieden unter den Völkern kann nur gedeihen, wenn wir auch im eigenen Volk friedlich miteinander umgehen lernen.“

Diese Einsicht von Richard von Weizsäcker gilt nach wie vor und mahnt uns alle dazu, auch gesamtgesellschaftlich wieder viel stärker für ein friedliches Miteinander einzutreten.

Es macht mir große Sorgen, wenn ich sehe, wie die Spaltung in unserer Gesellschaft zunimmt. Wenn ich sehe, dass der Umgangston allzu oft von Wut, Verachtung oder gar Hass geprägt ist.
Hier müssen wir ansetzen, wenn wir uns stark machen
wollen für den Frieden und die Freiheit.


Eine Gesellschaft, die von innen heraus stabil ist, die sich als solidarische Gemeinschaft versteht, ist nicht anfällig für die Fehler der Vergangenheit.


Wer aber glaubt, wieder auf Nationalismus und Ausgrenzung setzen zu müssen, der versündigt sich an denjenigen, die es uns ermöglicht haben, seit 75 Jahren in Frieden und Freiheit zu leben.

Wer die Lehren aus der Vergangenheit nicht ziehen will, riskiert die Freiheit von morgen!
Das Erinnern an die Gefallenen und das Wissen um die Fehler der Vergangenheit prägen unsere eigene Haltung und werden dadurch unser gegenwärtiges und zukünftiges Handeln bestimmen.

Wir sollten uns immer wieder aufs Neue bewusstmachen, welch hohes Gut unsere Demokratie für uns darstellt. Sie ist alles andere als selbstverständlich und muss immer aufs Neue geschützt und mit Leben gefüllt werden.

Deshalb müssen wir unsere freiheitliche Gesellschaft gegen Angriffe verteidigen und – wo immer es nötig ist – jeder an seinem Platz für Toleranz und gegenseitige Achtung einstehen.


Die Richtschnur für uns alle ist immer die Würde des Menschen. Sie steht im Mittelpunkt.

Sie ist der Maßstab, den wir anlegen, wenn wir zurückblicken und um die Verstorbenen trauern.

Und sie ist der Maßstab, wenn wir nach vorne schauen und unsere zukünftige Gesellschaft gestalten in Frieden und Freiheit.
Unsere Soldatinnen und Soldaten, Sie alle, leisten dazu einen ungemein wichtigen Beitrag.

Ich danke Ihnen!

Erstellt von: system letzte Änderung: Montag, 26. Oktober 2020 [14:06:01] von btheus