Bruno Kasdorf, Generalleutnant, InspH
20. November 2014
Rede
Inspekteur des Heeres
anlässlich
der Feierstunde am Ehrenmal des Heeres
in Koblenz
am 20. November 2014
Sehr geehrter Minister a.D. Schönbohm,
Sehr geehrter Herr Knopp (Stadt Koblenz),
für den Deutschen Bundestag, Frau MdB Henn, Herr MdB Hochbaum und Herr MdB Pilger,
Herr General de Kruif aus den Niederlanden,
Herr General DeBliek aus den Vereinigten Staaten,
Herr General Rudkiewicz aus Frankreich,
Herr Generaloberstabsarzt Dr. Patschke für den Zentralen Sani-tätsdienst,
Herr Generalleutnant Schelleis für die Luftwaffe.
Ich begrüße darüber hinaus die anwesenden Repräsentanten aus Politik, Kirche, Bundeswehr und Gesellschaft,
Meine sehr verehrten Damen und Herren.
Erlauben Sie mir, dass ich mein Wort zunächst an Herrn Minister a.D. Schönbohm richte, der die Zeit gefunden hat, heute zu uns zu sprechen.
Sehr geehrter Herr Minister a.D. Schönbohm,
25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, in dessen Folge Sie an entscheidender Stelle an der Ausgestaltung der Bundeswehr der Einheit mitgewirkt haben, zeugt Ihre Anwesenheit von der unverändert tiefen Verbundenheit mit den Soldaten, die auch über Ihre Zeit in militärischer und politischer Verantwortung hinausreicht. Dafür möchte ich mich stellvertretend für unser Heer, aber auch persönlich, herzlich bei Ihnen bedanken.
Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich danke auch Ihnen für das Zeichen der Solidarität, das Sie mit Ihrer Teilnahme als politisch Verantwortliche heute setzen.
Ihnen, Herr General Budde, danke ich, dass Sie bei der Führung des Kuratoriums des Ehrenmals des Deutschen Heeres in bewährter Weise engagiert zu Werke gehen. Die Bewahrung dieses würdigen Ortes der Erinnerung und der Ehrung ist bei Ihnen und den vielen, vor allem ehemaligen Soldaten des Heeres im Kuratorium heute und in Zukunft in guten Händen.
I. Tradition
Meine Damen und Herren,
das zu Ende gehende Jahr ist im Hinblick auf das Gedenken an die Gefallenen und die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft ein besonderes. Die zahllosen Gedenkveranstaltungen zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren sowie des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren verlangen ein würdevolles Gedenken in ganz Europa, fern jeder Ressentiments. Dies ist angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Lage in unserer unmittelbaren Nachbarschaft nicht selbstverständlich.
Bundespräsident Gauck hat bei einer dieser Gedenkveranstaltungen ausgeführt:
„Wir können nicht gleichgültig bleiben, wenn Menschenrechte missachtet werden, wenn Gewalt angedroht oder ausgeübt wird. Wir müssen aktiv eintreten für Freiheit und Recht, für Aufklärung, für Toleranz, für Gerechtigkeit und Humanität.“ Darum ist es richtig, dass wir heute am Ehrenmal des Heeres auch an jene erinnern, die seit Bestehen der Bundeswehr genau für diese Werte Ihr Leben gelassen haben – in Ausbildung und Einsatz.
Ihrer zu Gedenken steht zunehmend im Mittelpunkt unseres Traditionsverständnisses, denn wir verfügen nach fast sechs Jahrzehnten unseres Bestehens über eine eigene Geschichte. Die Bewährung im Kalten Krieg, der Beitrag zur deutschen Einheit, sehr geehrter Minister a.D. Schönbohm, zur Einigung Europas, das Engagement bei Hilfseinsätzen sowie die herausragenden Leistungen in den Auslandseinsätzen bieten hierzu eine sehr gute Grundlage.
Meine Damen und Herren, verehrter Herr General Budde,
Ich schätze Ihr Engagement für die gute Sache des Heeres und seiner Fallschirmjägertruppe. Und lange schon befinden wir uns in der Bundeswehr auch in einem Prozess werteorientierter Auseinandersetzung mit der Geschichte und der bewussten Auswahl unverändert gültiger Normen und Werte als feste Grundlage unserer Tradition.
Die Auseinandersetzung und die Empörung zum Verbot des dienstlichen Gebrauchs des Spruches „Treue um Treue“, die übrigens vor allem von Ehemaligen artikuliert wird, sind häufig polemisch und gehen ebenso häufig bewusst an der tatsächlichen Problematik vorbei. Die besteht nicht hinsichtlich des Treuebegriffs an sich, sondern im übertriebenen Festhalten an den Traditionen der Wehrmacht. Ihre Sorge, lieber Herr Budde, ist daher unberechtigt. In der Bundeswehr wurde vor langer Zeit bereits entschieden, dass die Streitkräfte – ungeachtet des Gedenkens an vorbildliches soldatisches Verhalten von Soldaten der Wehrmacht – Traditionen von Wehrmachtstruppenteilen nicht übernehmen. Erschwerend in diesem konkreten Fall kommt hinzu, dass der Spruch „Treue um Treue“, den die Fallschirmjäger der Wehrmacht zu ihrem Wahlspruch erkoren haben, gefährlich nah am Motto der SS – „Meine Ehre heißt Treue“ – liegt. Letzterer ist folgerichtig gemäß §86a des Strafgesetzbuches verboten.
Es geht aber nicht nur um den Missbrauch, sondern auch um das sich wandelnde Wesen des Treuebegriffs. Zunächst bezeichnete „Treue um Treue“ das Verhältnis des Vasallen zu seinem Lehnsherrn – es war die feste Bindung an eine Person. Dies wurde in den Befreiungskriegen die Treue zwischen deutschen Patrioten und ihrem Monarchen, und schließlich im Dritten Reich die Treue zu Adolf Hitler – mit allen daraus resultierenden Konsequenzen. Treue bedeutet für uns hingegen treues dienen, für unser Volk und unseren demokratischen Staat. Wir sind unseren Werten und Normen, wir sind unserer Nation verpflichtet und nicht einer Person oder einem Staatsoberhaupt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
meine Anordnung entspricht konsequent der bestehenden Weisungslage, und dies in großer Übereinstimmung der großen Mehrzahl unserer aktiven Fallschirmjäger im Heer. Ich tue dies aber nicht nur weil es meine Aufgabe ist Weisungen durchzusetzen, sondern auch um Schaden von unserem Heer abzuwenden. Jeder der mich kennt, weiß auch, dass ich kein Bilderstürmer bin und auch die besondere historische Situation, in der sich unsere Väter und Großväter befanden, zu würdigen weiß. Deshalb unterstreiche ich auch gerne die Worte von Klaus von Dohnanyi, lieber Herr Budde, die Sie bereits zur Begrüßung zitierten und die auch mich leiten, wenn ich den Soldatenfriedhof in Monte Cassino besuche.
Um es aber noch einmal ganz deutlich zu sagen: es geht bei Tradition immer auch um den Kontext. Und gemäß dem Bibelwort „Prüfet alles, das Gute behaltet“ ist Tradition die bewusste Auswahl aus der Geschichte und die Bewahrung dessen, was geeignet ist, die Grundlage für militärisches und staatsbürgerliches Handeln unserer Soldatinnen und Soldaten zu bilden.
II. Neue sicherheitspolitische Herausforderungen und Folgerungen
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
lassen sie uns in die Zukunft schauen. Denn wir Lebenden haben eine darüber hinaus gehende Verantwortung auch gegenüber unseren Toten aus Krieg, Widerstand und Vertreibung – Verantwortung für die Sicherheit unseres Landes, unseres Bündnisses. Ganz konkret geht es um die Frage, ob wir angesichts der vielfältigen neuen Bedrohungen und der damit einhergehenden sicherheitspolitischen Herausforderungen gut aufgestellt und mit der begonnenen Neuausrichtung nach wie vor auf dem richtigen Weg sind. Denn heute haben wir es jenseits einer klassischen militärischen Bedrohung mit vielgestaltigen, teilweise gänzlich neuen Herausforderungen zu tun. Wir erleben eine Vielzahl von Risiken und Bedrohungen, die in unterschiedlichen Regionen, zu unterschiedlichen Zeitpunkten, mit unterschiedlicher Intensität und in unterschiedlicher Kombination auftreten.
Als vorherrschende Konfliktform sehen wir bewaffnete Konflikte mit sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Konfliktparteien und Gegnern, die symmetrische und asymmetrische Mittel einsetzen. Aggressoren setzen dabei auf die nur eingeschränkte Handlungsfähigkeit der Weltgemeinschaft – insbesondere des Westens.
Wir erinnern uns: nach 1990 schien die Zeit reif für ein freies, vernetztes sowie regelkonformes globales Ordnungsgefüge. Die daraus entstandene heutige multipolare Weltordnung ist gekennzeichnet durch transnational vernetzte Zivilgesellschaften, Wirtschaftsunternehmen und Nichtregierungsorganisationen, die auf Augenhöhe mit staatlichen Akteuren agieren. Die Abhängigkeiten und Interferenzen aller Akteure sind dabei das Netz, welches heute für Wohlstand und Frieden in vielen Teilen der Welt steht. Kennzeichnend hierfür sind unter anderem freier Welthandel, „World Wide Web“ und Reisefreiheit, auf die wir weder verzichten können noch wollen. Denn sie bilden die Grundlage für Wohlstand und Prosperität.
Welche Folgerungen können wir daraus ableiten?
1. Den heutigen Konflikten ist gemeinsam, dass sie in ihrer Form nicht vorhersehbar waren. Die Verschärfung der Lage erfolgte dabei so schnell, dass wir berechtigterweise von „Strategic Surprise“ sprechen.
2. Sie sind regional nicht begrenzbar und betreffen mehrere Staaten, die ihrerseits nicht zwingend kooperieren. Kontinent übergreifende „Joint Ventures“ verstärken deren Unberechenbarkeit.
3. Sie umfassen alle denkbaren Formen symmetrischer und asymmetrischer Bedrohungen, von Stammeskämpfern und Milizen bis zum Gefecht befähigter Verbände der IS sowie moderner Streitkräfte.
4. Und unsere Gegner verfügen über die Informationsüberlegenheit, nutzen umfassend das Internet und entscheiden wie, wo, und wann der Rest der Welt ihre Sicht der Dinge erfährt. Dies wirkt bis tief in unsere Gesellschaften hinein, wie wir aus der für uns völlig unverständlichen, aber erfolgreichen Rekrutierung in unserem Land leider lernen müssen.
Dem gegenüber verfügen Nationen in erster Linie nur über ihre klassischen Instrumente wie politische, diplomatische, kulturelle, ökonomische und militärische Mittel, um auf Bedrohungen zu reagieren. Instrumente, die auch im Cyber- und Informationsraum sowie gegen asymmetrische Bedrohungen wirksam sind, werden erst entwickelt oder müssen noch entwickelt werden. Will man erfolgreich sein, sind darüber hinaus alle Instrumente staatlicher Macht miteinander zu koordinieren. Sie wirken aufeinander ein und jedes Instrument muss um die Besonderheit des jeweils anderen wissen.
III. Auswirkungen auf Streitkräfte
Meine Damen und Herren,
welche Konsequenzen hat dies für die Ausrichtung der Streitkräfte?
Wenn alle staatlichen Maßnahmen aufeinander abgestimmt sein sollen, dann muss jeder, der sie einsetzt, um die Besonderheiten der militärischen und nicht-militärischen Instrumente wissen. Als Soldaten müssen wir in der Lage sein, sie gegebenenfalls auch in unterschiedlicher Intensität selber zu nutzen und die dafür erforderlichen Fähigkeiten in uns vereinigen – vom Kämpfer bis zum Diplomaten, im hochintensiven Gefecht in einer Stabilisierungsoperation oder einer Ausbildungsmission.
Natürlich bleibt gleichwohl der Anspruch, dass Streitkräfte, dass das Heer kämpfen können muss!
Die Personalauswahl, die Ausbildung, die Ausrüstung und die Struktur des Heeres sind so auszurichten und so zu orchestrieren, dass das Heer als System ein breites Spektrum an Fähigkeiten bereit hält, um der Politik realistische, durchhaltefähige und glaubwürdige Handlungsoptionen zu ermöglichen.
Beginnen wir mit dem Personal. Dieses muss sich heute freiwillig zum Dienst im Heer verpflichten. Ein attraktiver und moderner Arbeitgeber zu sein ist dabei für das Heer von besonderer Bedeutung. Denn um in komplexen Einsätzen zu bestehen, brauchen wir leistungsfähige Männer und Frauen, weltoffen, gebildet und so ausgebildet, dass sie auch unter Stress zielstrebig ihren Auftrag erfüllen. Dies gelingt nur über die richtige Auswahl und dabei muss jeder Soldaten ganzheitlich betrachtet werden: seine körperliche Leistungsfähigkeit, seine psychische Belastbarkeit, sein persönliches Umfeld sowie seine Einstellung – er muss nicht nur kämpfen können, sondern auch kämpfen wollen.
Wir benötigen Offiziere und Unteroffiziere, die sich in multinationalen Strukturen – zum Beispiel internationalen Hauptquartieren – effektiv einbringen können.
Die Ausbildung dieses Personals ist von ganz besonderer Bedeutung. Daher gilt ihr meine besondere Aufmerksamkeit. Jeder Soldat und jeder Verband muss befähigt werden, zunächst im Heer und dann mit anderen Teilstreitkräften und internationalen Partnern zusammenzuwirken.
Warum betone ich das in dieser Reihenfolge?
Viele sehen „Streitkräftegemeinsamkeit“ und „Multinationalität“ als Wert an sich – und das möglichst sehr früh und bis weit in die Verbände hinein – aber zu Lasten der Qualität. Als Konsequenz beherrscht keiner sein Handwerk und die Effizienz im Einsatz ist nicht mehr gegeben. Unsere Ausbildung muss breit angelegt sein und andererseits die notwendige Handlungs- und Verhaltenssicherheit durch entsprechende Ausbildungstiefe sicherstellen. Es geht künftig darum, die Kräfte des Heeres zum raschen Einsatz für multiple Aufträge ohne lange einsatzvorbereitende Ausbildung zu befähigen. Gelingt uns dies – wir sind hier auf einem guten Weg – dann werden wir die Reaktionsfähigkeit des Heeres noch einmal deutlich steigern können.
Die richtige Struktur – also der richtige Mix von Fähigkeiten, Einheiten und Verbänden befähigt uns, im gesamten Spektrum auszubilden und gleichzeitig möglichst schnell homogene Kräfte bereit zu stellen, die dann gemeinsam mit anderen Akteuren – zivil und militärisch, national und multinational – auf Anforderung eingesetzt werden.
Für Ausbildung und Einsatz benötigt das Heer wiederum eine moderne, auftrags- und bedrohungsgerechte Ausrüstung. Sie muss den Ansprüchen an Interoperabilität, Verlegbarkeit, Schutz, Präzision und Wirkung genügen – und das bereits in der Ausbildung.
Wird das deutsche Heer mit der Neuausrichtung diesem Anspruch gerecht?
Unsere Personallage ist gut, und zwar in Quantität und Qualität. Die durchschnittliche Verpflichtungszeit unserer Mannschaften beträgt bereits heute mehr als 8 Jahre, wir verfügen über kampf- und einsatzerfahrene Soldaten und werden Schlüsseldienstposten – KpChef und KpFw – mit erfahreneren Spitzenleuten der jeweiligen Dienstgradgruppe besetzen. Dies wird zu einer weiteren Professionalisierung führen.
Die über einen längeren Zeitraum bestehenden homogenen Verbände werden im Rahmen einer Ausbildungs- und Einsatzsystematik schrittweise befähigt, das gesamte Spektrum militärischer Fähigkeiten zu beherrschen – von der Stabilisierungsoperation bis zum hochintensiven Gefecht. Zurzeit sind wir bereits in der Lage zu:
- Umfassende Katastrophenhilfe im Inland;
- Evakuierungsoperationen aus dem Stand;
- Innerhalb von 20 Tagen stellen wir eine einsatzbereite Luftlandebrigade;
- Zwei weitere – in diesem Fall mechanisierte Brigaden – sind innerhalb eines Monats einsatzbereit. Damit verfügen wir schon über die wesentlichen Kräfte einer Division.
- Eine verstärkte Division ist im Rahmen der neuen Struktur auch unser Anspruch für die Landes- und Bündnisverteidigung.
Künftig wird das Heer nach vollständigem Zulauf neuen Geräts und der Einsatzbereitschaft unserer modernen Hubschrauber noch mehr leisten können. Das Heer ist und bleibt damit der maßgebliche Truppensteller in nahezu allen Einsatzgebieten der Bundeswehr. Auch wenn wir angesichts unseres angepassten Engagements in Afghanistan absehbar zunächst weniger Kräfte binden als bisher. Wenn wir dadurch mehr Zeit und Kraft in die Ausbildung und Fürsorge unserer Frauen und Männer investieren können, dann wäre ich dankbar.
Die Neuausrichtung ist unverändert der richtige Weg. Wir werden zukünftig über schneller einsetzbare, flexibel im gesamten Spektrum einsetzbare Landstreitkräfte verfügen.
IV. Handlungsbedarf
Nichts desto trotz – und das dürfte Ihnen nicht entgangen sein – gibt es Handlungsbedarf, auch im Heer. Denn trotz aller gemeinsamen Anstrengungen und angesichts der erzielten Fortschritte gibt es auch Anlass zur Sorge.
Wir verzichten auf die Vollausstattung unserer Truppen – das hat es bisher nicht gegeben. Dies ist der Not geschuldet, nicht unserem Wunsch. Es zwingt uns zu einem sogenannten „Dynamischen Verfügbarkeitsmanagement“, welches mit großem Organisationsaufwand Großgerät gezielt und zeitlich begrenzt den Verbänden so zuweist, dass sie Einsatz und Ausbildung durchführen können. Bereits eine Anhebung der Stückzahlen einzelner Systeme könnte uns diese Herkulesaufgabe deutlich erleichtern.
Eine weitere Herausforderung besteht in der materiellen Einsatzbereitschaft einzelner Waffensysteme. Betroffen sind neben dem GTK BOXER auch die fliegenden Waffensysteme NH 90 und TIGER. Allen mangelt es derzeit an der erforderlichen Versorgungsreife. Versorgungsreif ist ein System, wenn alle Ersatzteile in der Versorgungskette identifizierbar und anforderbar sind, wenn die notwendige Dokumentation – Vorschriften – und Instandhaltung und Wartung gewährleistet sind. Bei neuen Waffensystemen muss diese Reife gegeben sein, um sie in Nutzung zu nehmen – dies war bei den genannten Waffensystemen nicht der Fall.
Unsere Soldaten in Afghanistan benötigten jedoch den raschen Einsatz. Den dabei gewonnenen wertvollen Erkenntnissen steht nunmehr eine erhebliche Verzögerung bei der Einführung weiterer Systeme in die Truppen gegenüber. In enger Abstimmung mit allen Verantwortlichen haben wir zur raschen Lageverbesserung einen Arbeitsschwerpunkt gebildet – unter anderem durch runde Tische unter meiner Leitung.
Handlungsbedarf sehe ich auch bei geschützten Transport- und Führungsfahrzeugen, insbesondere für die Bündnis- und Landesverteidigung. Hier müsste vermehrt auf älteres Gerät zurückgegriffen werden, mit entsprechenden Folgen für Schutz, Funktionalität, Wirksamkeit und Durchhaltefähigkeit. Und auch bei anderen in Einsätzen wichtigen Domänen gibt es Defizite. Das beginnt bei der Infrastruktur. Neben modernen Unterkünften umfasst dies hochwertige Ausbildungseinrichtungen, am Standort ebenso wie in den zentralen Ausbildungseinrichtungen. Das Gefechtsübungszentrum ist hierbei internationaler Standard, bedarf aber der laufenden Modernisierung und Anpassung an neues Gerät des Heeres.
Darüber hinaus ist erforderlich:
1. Führungsfähigkeit bedeutet moderne Funkgeräte und sichere Datenübertragung bis ganz nach vorne, aber auch eine sichere Stromversorgung für schnell verlegbare Hauptquartiere.
2. Moderne Aufklärung muss uns helfen, in Zukunft vor ein Ereignis zu kommen. Die hierfür erforderlichen Daten bedürfen modernster Aufklärungsmittel. Unser Einsatz in Afghanistan hat dabei die Bedeutung unbemannter Aufklärungsmittel – Drohnen – klar nachgewiesen. Hier muss zeitnah investiert werden, um eine Fähigkeitslücke ab 2020 zu verhindern.
3. Wirkung um durch Abstandsfähigkeit, Skalierbarkeit und Präzision den Schutz unserer Soldaten sowie ihre Durchsetzungsfähigkeit zu garantieren und die Entscheidung am Boden herbeizuführen. Die „streitkräftegemeinsamen taktischen Feuerunterstützung (STF)“ ist auf einem guten Weg. Allerdings ist die Mindestausstattung nur teilweise vorhanden, der angestrebte Systemverbund – das heißt die Bereitstellung von taktischer Feuerunterstützung joint and combined auf allen taktischen Führungsebenen – kann noch nicht realisiert werden.
Angesichts der Vorgaben für den Verteidigungshaushalt ist dies eine gewaltige Herausforderung. Wir stehen zwar besser da als viele unserer Partner. Es gibt aber nur wenig Spielraum, um zusätzlich erforderliche Fähigkeiten in den von mir genannten Domänen zu schaffen. Hier wird es darauf ankommen, mittelfristig die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr zu verbessern.
Und selbst dann werden wir nicht in der Lage sein, rein national unsere Interessen zu wahren – dies gelingt nur gemeinsam mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern. Das Heer ist Vorreiter und Treiber internationaler Zusammenarbeit. Mit dem durch Deutschland entwickelten und erfolgreich auf dem NATO-Gipfel eingebrachten Framework Nations Concept besteht konzeptionell der Rahmen, um die Integration europäischer Landstreitkräfte voranzutreiben.
Als ein gelungenes Beispiel sehe ich die sehr fruchtbare Zusammenarbeit mit unseren niederländischen Nachbarn. Hier ist es unter anderem gelungen, durch die Unterstellung der 11. Air Mobile Brigade unter das Kommando der Division Schnelle Kräfte einen multinationalen Großverband zu schaffen, der bereits im Frieden dauerhaft eng kooperiert und so seine Fähigkeiten im Einsatz deutlich steigern kann.
Und wir stehen hier erst am Anfang! Mehr als 30 Einzelprojekte – sogenannte Business Cases – werden derzeit untersucht oder bereits realisiert. Der Aufbau einer gegenseitigen Verbindungsorganisation, gemeinsame Ausbildung (z.B. Offizieranwärter), Doktrin oder der Austausch von Schlüsselpersonal (KpChefs und Bataillonskommandeure) werden dabei genauso betrachtet wie die gegenseitige Unterstellung weiterer Verbände. Diese Art der Kooperation hat im wahrsten Sinne des Wortes „Zukunft“. Dafür steht auch unsere enge Zusammenarbeit mit Frankreich, Österreich und auch Polen.
V. Zusammenfassung
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Wir können mit Stolz und Dankbarkeit auf das durch das Heer geleistete zurückblicken. Nahezu 60 Jahre Einsatz für Frieden und Freiheit – einschließlich Kampf, Tod und Verwundung – bieten hierzu Anlass genug. Wir müssen uns aber auch der daraus erwachsenen Verantwortung bewusst sein – auch und besonders vor dem Hintergrund der großen Bedeutung unseres Landes für Europa.
Wir müssen Verantwortung in Einsätzen übernehmen. Wir müssen über ein Heer verfügen, welches im gesamten Intensitätsspektrum eingesetzt werden kann. Unser Anspruch ist Professionalität und der Einsatz weltweit! Die Neuausrichtung des Heeres schafft hierfür die Voraussetzungen.
Wir wissen nicht was auf uns zukommt! Wir verfolgen daher den Ansatz „Breite vor Tiefe“ und erhalten somit alle für moderne Landstreitkräfte wichtigen Fähigkeiten. Dies geht zu Lasten der Durchhaltefähigkeit, die wir durch den Einsatz der Reserve, aber vor allem durch eine weitreichende Multinationalisierung kompensieren – mit entsprechenden Folgen hinsichtlich der daraus entstehenden Abhängigkeiten und Verbindlichkeiten.
Insgesamt haben wir viel erreicht. Es bedarf allerdings weiterer Anstrengungen, um die Neuausrichtung erfolgreich bis 2017 abzuschließen, aber auch um die Reaktionsfähigkeit des Heeres nachhaltig zu verbessern. Das Zeitfenster und die Debatte, die wir zurzeit führen, erscheinen mir günstig, und ich schaue optimistisch in die Zukunft.